Von den Augen bis zum Mund ist eine lange Zeit

Herta Müller

Wenn man ein Foto schießt, dann hält man etwas fest, das eigentlich im Fluss der Zeit verschwindet. Ob es Porträts sind oder Landschaftsaufnahmen: diese Wolkenformation, dieser Gesichtsausdruck – das kommt nie wieder. Die Kamera hält die Vergänglichkeit fest. Dabei kann das Foto natürlich nie tatsächlich genau diesen einen Moment wiedergeben, da ein Foto selbst bereits etwas Neues ist. Deswegen sind Fotos für mich auch keine Abbilder der Wirklichkeit, Fotos haben ein Eigenleben, Fotos sind Ausdruck: Ausdruck von mir, von der Technik, die ich verwende, von der Welt um mich herum.   

Ich fotografiere viele verschiedene Genre, aber am liebsten Landschaften und Tiere. Landschaftsfotografie hat für mich etwas mit Achtsamkeit zu tun. Ich bin allein in der Natur und konzentriere mich auf meine Sinne, was nehme ich wahr, wie riecht etwas, wie fühlt es sich an. Wenn ich in dieser Umgebung fotografiere, komme ich ganz zur Ruhe, mein Kopf wird leer, ich bin nur noch Wahrnehmen und Fühlen.

Tiere fotografiere ich besonders gern, da ich auf eine sonderliche Art und Weise irgendwie eins werde mit ihnen. Mit der Telelinse kommt man ja ganz nah an sie heran, sieht jedes Zucken, jede kleine Bewegung oder den Ausdruck in ihren Augen. Manchmal mutet es fast ein bisschen unheimlich an, weil die Tiere einen selbst ganz genau ansehen. Da findet dann eine wirkliche Begegnung statt, wenn wir uns betrachten. Lustig finde ich, dass man merkt, ob die Tiere eine gute oder schlechte Laune haben, ob sie lächeln oder wütend gucken. Das macht mich oft ehrfürchtig.

Besonders gern mag ich ein Bild, das ich im Wallis aufgenommen habe. Es entstand bei einer Bergwanderung während der Blauen Stunde. Ich dachte zuerst, dass ich meinen Augen nicht trauen kann. Da wuchs doch wahrhaftig eine einzelne Tanne allein an einem felsigen Steinhang. Wie ist das möglich? Welchen Wetterbedingungen dieser Baum schon trotzen musste, das ist unvorstellbar. So etwas sehen zu können macht mir sehr viel Mut. Leben entsteht an den abwegigsten Orten dieser Welt und es ist unglaublich schön. Man kann sich als Mensch daran ein Beispiel nehmen:

Wachse, auch wenn der Untergrund steinig ist!